Inside Deichkind

Katharina Köhler

Katharina Köhler ist seit fast 15 Jahren als Managerin für Deichkind tätig und seit 2013 selbstständige Artist-Managerin. Zuvor war sie mehrere Jahre lang bei Buback tätig, wo sie Auftritte von Künstlern wie Die Beginner oder DJ Koze betreute. 2021 kam ihre eigene Management-Agentur female force mgmt dazu, die sie Saskia Trautwein gründete und seit 2022 arbeiten die beiden mit dem Künstler CONNY zusammen. Im Gespräch mit Low Budget High Spirit gibt Katharina Einblicke in den Maschinenraum eines der erfolgreichsten deutschen Independent-Acts.

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Low Budget High Spirit: Deichkind muss man vermutlich niemandem mehr vorstellen. Aber vielleicht kannst du uns einen Blick hinter den Vorhang gewähren: Wer arbeitet alles am Projekt, wie ist die Struktur und welche Rolle nimmst du dabei ein? 

Katharina Köhler: Deichkind bilden sich im Kern aus Philipp, Porky und Henning. Die drei sind in alle wichtigen Entscheidungen involviert, haben immer das letzte Entscheidungsrecht, müssen sich also immer einig werden. Im Management sind wir auch drei Personen, ich arbeite mit meinen Kolleg*innen Tania und Thomas zusammen. Drumherum gibt es viele kreative Zellen, die dann saisonal unterschiedlich stark involviert sind. Jemand für Grafik und Artwork, jemand für Kostüme, jemand für Videos. Das sind nochmal ungefähr 30 Personen. Auf Tour gehen wir mit 70 bis 80 Personen. Meine Rolle darin ist, dass ich einerseits unser eigenes Label, Sultan Günther Music, leite, Kampagnen plane und das Produktmanagement während der Album-Phasen verantworte. Andererseits bin ich Teil des Management-Teams und springe da natürlich immer zwischen den Aufgaben, weil sich vieles vermischt. Tania, Thomas und ich teilen uns das alles auf.

LBHS: «Sultan Günther Music» ist ein gutes Stichwort. Ihr wart früh Vorreiter darin, dass ein größerer Act sich wieder alles zurückholt und die Musik über ein eigenes Label veröffentlicht. Wie ist es dazu gekommen, was sind eure Learnings knapp zehn Jahre später?

KK: Wir waren in der herrlichen Situation, dass einerseits unser Album – «Befehl von ganz unten» – sehr erfolgreich war, unter anderem mit «Leider geil (Leider geil)». Und andererseits ist der Bandübernahmevertrag mit Universal ausgelaufen. Sprich, wir konnten aus einer guten Position einen sehr schönen Deal aushandeln. Zudem hatte die Band Lust, mehr selbst zu gestalten, Unternehmerin zu werden und die volle Freiheit wiederzuerlangen. Die Entscheidungen im Bandübernahmevertrag lagen zwar schon immer hauptsächlich bei uns. Jedoch haben wir nun durch die neue Struktur auf allen Ebenen die komplette Entscheidungsgewalt und Verantwortung, strukturell, künstlerisch, aber auch finanziell. So können wir uns unter anderem fantastische Musikvideos leisten, da wir eine Querverrechnung im Kopf haben und Budgets, die bei einem Bandübernahmevertrag überhaupt nicht denkbar wären.

LBHS: Hattet ihr Expertise, wie man so ein Album herausbringt? Wie seid ihr an die Sache rangegangen? 2014 war das Business ja auch noch ein anderes als jetzt.

KK: Das war neu und aufregend. Aber das ist auch Deichkind: Einfach machen, etwas ausprobieren, Learning by doing. Wir haben uns aber trotzdem beraten lassen, zum Beispiel stand uns Christoph Ellinghaus zur Seite. So mussten wir alles lernen: Was heißt Kampagnenplanung, wie funktioniert Marketing? Wir arbeiteten naiv und unwissend, haben uns das alles mit viel Spass angeeignet. Aber klar, es war nicht nur easy.

LBHS: Denkst du, dass diese Konstruktion – eigenes Label + großer Vertrieb – auch eine Konstruktion für die nächsten Alben, Jahre und die aktuellen und kommenden Herausforderungen im Musikbusiness ist?

KK: Ich glaube, für uns gibt es keinen Weg zurück. Ich arbeite beispielsweise mit CONNY zusammen, einem spannenden jungen Newcomer-Act. Das Projekt befindet sich an einem anderen Punkt, daher lässt sich die Frage nicht mehr so einfach beantworten. Möglicherweise helfen Vorschüsse, große Teams und der Druck eines großen Labels. Gleichzeitig sehe ich, wie einfach es heutzutage ist, über Spotify, TikTok und andere Socials Musik zu veröffentlichen, zu verbreiten und eine Community aufzubauen. Erstaunlich, wie gut man alleine erfolgreich sein kann, ohne ein (Major-)Label im Rücken. Außerdem stellt sich die Frage, ob man heutzutage noch seine Masterrechte abgeben sollte. Sie sind wertvoller denn je. Auch bei Deichkind ist es das Ziel, alle diese Masterrechte wieder in unseren Besitz zu bekommen. Wenn man dann ein starkes Team hat – wie zum Beispiel bei CONNY und natürlich bei Deichkind –, kann man viel aus eigener Kraft erreichen.

LBHS: Lass uns über Musikvideos sprechen: Stimmt der Eindruck, dass die Deichkind-Videos der letzten Jahre das integrale Marketing-Tool waren und maßgeblich für den Erfolg des Projektes verantwortlich sind? Kannst du uns Einblicke in die Strategien geben und wie diese Videos entstehen?

KK: Das Wichtigste ist, dass Deichkind sich normalerweise nicht um branchenübliche Konventionen scheren. Wenn alle Lust haben, Musikvideos zu machen, dann werden sie gemacht, selbst zu Songs, die sonst vielleicht nicht als Singles veröffentlicht worden wären. Wir wissen, dass das ein Privileg ist. Zudem ist es für Porky, Philipp und Henning eine Spielwiese, ein Ort, an dem sie kreativ zusammenkommen und arbeiten können, da sie sich nicht regelmäßig im Proberaum treffen.

LBHS: Die Videos mit Lars Eidinger sind vielen im Gedächtnis geblieben und hinterließen nachhaltigen Effekt. Entsteht so etwas just for fun oder stehen da doch Marketing- und Business-Entscheidungen dahinter im Wissen, dass solche Videos viral gehen, das Projekt nochmal woanders verorten und mehr Richtung Feuilleton ziehen?

KK: Das sind Business-Entscheidungen, da die Videos mittlerweile zu den wichtigsten Marketing-Säulen geworden sind. Aber das musste ich mir so zurechtdrehen. Erstmal wollte die Band diese tollen Musikvideos drehen. Dann haben wir entschieden, dass sie der Schwerpunkt der Kampagne werden. Das bedeutet aber auch, nicht einfach Single nach Single in schneller Taktung mit solchen Videos rauszuhauen. Sondern weniger zu machen, da man lange Vorläufe und viele Ressourcen verbraucht, es ist stressig ist, Organisation benötigt und wahnsinnig viel Geld kostet. Rein danach gedacht, wie eine Kampagne heute funktioniert, würde man das ja total anders machen. Aber für Deichkind ist es genau so richtig und passt zu unserer Arbeitsweise. Management-Aufgabe ist es, die Kampagne entsprechend anzupassen. Lars kannten die Bandmitglieder schon vorher aus unterschiedlichen Zusammenhängen. Wir haben das erste Video gemacht und danach entschieden, noch eins zu machen, und danach noch eins. Das wurde zum Running Gag. Geplant war nichts vorher, sehr typisch für Deichkind.  

LBHS: Steile These und damit verbundene Fragen: Deichkind zählt zu den wenigen wirklich etablierten und großen unabhängigen Musikprojekten hierzulande. Und das schon wahnsinnig lang, wovor man größten Respekt haben muss. Ist damit aber auch ein Plateau erreicht für das Projekt? Im deutschsprachigen Raum gibt es schliesslich nur eine begrenzte Anzahl an Menschen, die zu Deichkind-Fans werden können, an Konzerte kommen oder Musik kaufen und streamen. Seht ihr dieses Plateau? Und was habt ihr für Fantasien und Strategien, wohin es noch gehen kann, insbesondere aus Management-Perspektive?

KK: Der Gedanke des Plateaus ist sehr interessant. Wir sprechen jeweils von «Privileg». Uns ist sehr bewusst, wie privilegiert wir sind und was sich die Band in den letzten 26 Jahren erarbeitet hat, um nun an diesem Punkt zu stehen. Damit verbunden gibt es jedoch eher Herausforderungen als Fantasien. Zum Beispiel den aktuellen Status halten zu können. Sprich, relevant zu bleiben in einem so schnellen Markt mit so vielen jungen großartigen Künstler*innen. Oder Themen und Ideen zu finden, sich weiterhin bis ins Detail viel Mühe zu geben, ohne daran zusammenzubrechen, da alles viel schneller läuft als früher. Eine bis zwei Singles vor Albumveröffentlichung, ein Musikvideo, ein paar Interviews: Das reicht heute nicht mehr. Um die Algorithmen zu füttern und relevant zu bleiben, muss man auf so vielen Plattformen so viel mehr tun. Bei dem Standard, den Deichkind setzen, ist das eine große Herausforderung. Für mich im Management ist es dann die Hauptaufgabe, den Blick in den Markt zu haben, darin den Platz für Deichkind zu finden. Und nicht daran zu verzweifeln, dass wir kein «Bück dich hoch» auf der Platte haben. Sondern zu erkennen, wo die Band steht, was wir erreichen wollen und wie wir das erreichen können. Und nicht zuletzt ist wichtig, dass es uns allen gut geht und wir gesund aus einer Kampagne herauskommen.

LBHS: Relevanz und Gesundheit sind gute Stichworte: 26 Jahre Deichkind, die Herrschaften werden älter, sind Familienväter. Gleichzeitig bauen die Marke Deichkind und die Live-Shows immer schon auf Begriffe wie Feiern, Ek­s­ta­se, Zeitgeist auf – Dinge, die man landläufig mit Jugendlichkeit verbindet. Deichkind scheinen es zu schaffen, mit Würde im Business zu altern, ohne väterlich rüberzukommen, das Publikum regelmäßig zu verjüngen und auch den Grip für gesellschaftliche Entwicklungen nicht zu verlieren. Was ist das Rezept dahinter?

KK: Deichkind sind ja aus dem totalen Hedonismus und einer «Alles-Scheißegal»-Punk-Attitude groß geworden. Es stimmt, dass sich das verändert hat. Heute fragen wir uns viel mehr: Was sind die Themen? Über was wollen wir sprechen, wofür wollen wir stehen und wofür auch die Leute ins Boot holen? Weil wir eben ein ganz anderes Verantwortungsbewusstsein haben. Auch bei den Shows: Wann ist Ek­s­ta­se okay, wann braucht es Ruhe, wann müssen wir uns ganz klar positionieren und politisch äußern? Damit verliert man dann auch immer mal wieder Menschen. Das ist aber okay, weil wir die Zielgruppe auch mitwachsen sehen. Die 45-jährigen kommen also immer noch an die Konzerte und bringen sogar ihre Kinder mit, die das genauso feiern. 

LBHS: Und gleichzeitig kann man sich sein Publikum ja auch nicht aussuchen. «Leider geil (Leider geil)» haben viele Leute missverstanden. Wie sehr belastet es euch, dass so ein Lied dann auf Mallorca läuft und von allen mitgegrölt wird?

KK: Wir haben gar nicht verstanden, wie die Leute das eins zu eins wörtlich nehmen konnten. Und wenn man sich dann politisch oder gesellschaftskritisch äußert, posten einige: «Was erzählt ihr denn für einen Scheiss, ich bin nicht mehr euer Fan». Dabei steht das Gleiche schon im Liedtext, nur halt ironisch gemeint und in der künstlerischen Form des Songs. Das ist definitiv ein schmaler Grad, und es hat sich im Laufe der Zeit viel geändert. Uns ist bewusst geworden, dass wir immer klarer in dem sein müssen, was wir sagen und tun.

LBHS: Du betreust nicht nur Deichkind, sondern arbeitest wie erwähnt mit CONNY zusammen. Ein Act, der im Vergleich zu Deichkind am Anfang steht. Und: Du bist schon lange dabei. Deichkind haben den Großteil ihrer Fanbase in einer Zeit aufgebaut, die noch ganz anders funktioniert hat als das Business heute. Was denkst du in Zeiten von TikTok, übersättigtem Digital-Marketing, Algorithmen und dem Absterben klassischer PR: Ist es heute schwerer, sich etwas aufzubauen?

KK: Klar, alles ist sehr schnell geworden, aber auch schnelllebig. Wer über TikTok groß wird, wird halt über TikTok groß. Aber die müssen dann erstmal 20 Jahre oder länger am Start bleiben. Das ist die eigentliche Herausforderung. Da ist dann schon meine Hoffnung, dass man auch weiterhin merkt, wer sich Mühe gibt und wer nicht. Wer echte Inhalte veröffentlicht und wer nicht. Und dann sehe ich auch, dass jemand wie CONNY das weiterhin ganz alleine aus sich heraus schafft und über 300.000 monatliche Hörer*innen auf Spotify hat, ohne irgendein nennenswertes Budget, ohne digitales Marketing. Ich vertraue deshalb darauf, dass sich das wirklich Gute durchsetzt und es weiterhin Wege für den nachhaltigen Aufbau einer Karriere gibt. Genau das, was Deichkind auch gemacht haben. Wir hätten damals sofort nach Mallorca gehen können, um Geld zu machen, das Ganze mit Markenkooperationen ausschlachten, uns verheizen und vieles mehr. Aber das war nie der Deichkind-Weg, das wäre nicht nachhaltig gewesen. Wir sind happy damit, zu vielen Sachen einfach Nein gesagt zu haben, und das gilt als Prinzip auch noch heute.

LBHS: Danke für die vielen Insights und das spannende Gespräch!

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