Ey, warum wollt ihr mein Geld nicht?

Melanie Gollin

Melanie Gollin lebt und arbeitet in Berlin als Musikjournalistin, Redakteurin und Moderatorin. In der Vergangenheit wirkte sie u. a. für Flux.fm und Made Records und denkt heute Musikjournalismus neu mit dem sehr lesenswerten Newsletter «ZWISCHEN ZWEI UND VIER». Für Low Budget High Spirit formuliert Melanie eine Bitte: mehr Alternativen, um Musiker*innen zu supporten.

Mehr Texte von Melanie findet ihr im sehr lesenswerten Newsletter «ZWISCHEN ZWEI UND VIER» unter www.zwischenzweiundvier.de

Ich liebe Musik und möchte, dass die Menschen, die mich damit glücklich machen, davon leben können. Deswegen sitzt meine Spendierhose in Bezug auf Musiker*innen extrem locker. Doch ich höre kaum Vinyl, finde die meisten Merchandise-Shirts hässlich und habe weiß Gott genug Jutebeutel. Warum bieten mir so wenige Musikmachende an, sie einfach für ihre Arbeit zu bezahlen?

«Macht sie Witze, wir würden das Geld sofort nehmen!», höre ich jetzt einige von euch sagen. Na dann mal los: Wo ist euer PayPal-Button, euer Patreon-, Steady-, Fanklub-Account, auf dem ich euch unterstützen kann? Ach so, habt ihr nicht? Genau das ist mein Problem. In den letzten Jahren sehe ich zwar immer mehr Kreative um mich herum, die Crowdfinanzierung nutzen: Illustrator*innen mit Ko-fi-Profil, Youtuber*innen mit Patreon-Accounts, Journalist*innen mit Substack und Steady. Doch Musiker*innen? Fehlanzeige. Kaum eine Band – international, aber vor allem in Deutschland – nutzt die Möglichkeit, sich abseits von Plattenverkäufen, Tickets und Merch über ihre Fans zu finanzieren. 

Warum das so ist, kann ich erstmal nur mutmaßen. Ich selbst unterhalte einen Steady-Account für den musikjournalistischen Newsletter ZWISCHEN ZWEI UND VIER, den ich zusammen mit zwei Kolleginnen schreibe. Ich weiß aus erster Hand um die Vorteile und Nachteile dieser Art von Finanzierung. In meinen Augen überwiegen die Vorteile. Deswegen machte ich mich auf die Suche nach Gesprächspartner*innen aus der Musikindustrie, die mir erzählen sollten, warum sie Crowdfinanzierung nutzen und empfehlen – beziehungsweise eben nicht.

Während ich Scham und Angst vor noch mehr Arbeit als die größten Faktoren ausmache, die Bands davon abhalten, sich mein Geld zu sichern, hat Tine Theurich einen viel einfacheren Grund: «Viele Leute kommen einfach nicht auf die Idee, nach Geld zu fragen, weil es niemand vormacht», erzählt sie mir. Tine ist Teil der Agentur SUPERUNKNOWN und berät Musikschaffende strategisch. «Häufig schielt man eher auf das schnelle Wachstum. Wenn man ein TikTok macht, hat man jedes Mal die Möglichkeit, einen viralen Hit zu landen», erklärt sie, weswegen die meisten ihre Zeit wie selbstverständlich in Social Media stecken würden. «Das hat enormen Wert für viele, aber alles, was händischer ist, wird unterschätzt. Ich sehe immer in interessierte und begeisterte Gesichter, wenn ich über Finanzierung durch Community rede, aber viele trauen sich nicht, das gewohnte System zu verlassen.» Sie schlägt vor, niedrigschwellig anzufangen, indem man zum Beispiel einen PayPal-Button einrichtet und einfach nur auf die Homepage oder in die Bio packt. Dann ein bisschen mutiger werden und die Leute ab und zu drauf hinweisen. «Da kann man schon als junge Band den Grundstein legen und später als etablierte Band über Patreon nachdenken.»

Über so einen PayPal-Button habe ich Brenda Blitz kennengelernt. Die erste EP der Wave-Pop-Punkerin hat mich derart umgehauen, dass ich ihr direkt zehn Euro überweisen musste. Woraufhin sich Brenda per Insta-DM bei mir bedankte. «Mit dir waren das vielleicht insgesamt fünf Leute, die diesen Button je genutzt haben. Aber die hab ich mir gemerkt!», lacht sie, als ich sie daran erinnere. Seit drei Jahren verfolge ich ihre Karriere, sehe, wie sie Leute begeistert, aber auch: wie sie struggelt, sich ihre Musik zu finanzieren. Trotzdem weist die Berlinerin auf ihren Socials nie auf PayPal hin – und von ihrem Patreon-Account habe selbst ich als Superfan nur zufällig erfahren. «Den hab ich während Corona angefangen und das lief gar nicht so schlecht. Aber ich hatte das Gefühl, das raubt fast mehr Zeit als das Musikmachen. Man muss doch eine Gegenleistung erbringen dort und ich wollte den Content geil aufbereiten.» Es ist üblich, bei Patreon oder Steady verschiedene Stufen zu unterschiedlichen Preisen einzurichten. Wer zwei Euro pro Monat zahlt, bekommt zum Beispiel extra ein Video, wer 20 Euro zahlt, ein exklusives Konzert im Jahr. Da kann sich die Musiker*in ausdenken, was sie will. Tatsächlich muss man aber keinen zusätzlichen Gegenwert anbieten, das liegt rein im Ermessen der Profilersteller*innen. Wenn man noch so klein ist wie Brenda, könnte man einfach sagen: Mit zwei Euro im Monat helft ihr, meine Miete zu zahlen, damit ich mich aufs Musikmachen konzentrieren kann. Ich schlage das Brenda vor, sie findet die Idee gut, will es ausprobieren. Zögert aber zugleich: «Man will nicht bedürftig wirken. Sich nicht outen, dass man Hilfe braucht.» Da ist sie, die Scham.

«Die Leute sollen nicht denken ‹Oah, dem geht’s nicht gut›», sagt mir auch Daniel Stoyanov. Er hat 2022 als Bulgarian Cartrader ein bizarr-fabelhaftes Debütalbum veröffentlicht. Bei ihm würde ich sofort ein Abo abschließen, aber auch er bietet es mir nicht an. Daniel kann im Gegensatz zu Brenda schon ganz gut von seiner Musik leben. Er bezieht sein Einkommen über die mittlerweile klassischen Wege der Musikindustrie: Streaming, Merch und Touren. «Das ist sozusagen das Normale, die natürliche Art, wie es immer war in der Branche. Du bist Teil der Musikindustrie und das Geld kommt von der Musikindustrie und finanziert dich», meint Daniel. Doch was, wenn nicht? Gleichzeitig hat der Wahlberliner schon gute Erfahrung mit der Großzügigkeit seiner Fans gemacht. Sein Merch, stilecht zum Bandnamen ein Schlüsselanhänger und ein Duftbaum, verkauft er nach Konzerten auf Pay-what-you-want-Basis. «Die Leute zahlen immer mehr, als ich mit einem Festpreis verlangen würde. Sie sind nach einem guten Konzert euphorisiert, sie wollen mich unterstützen. Und ihnen ist auch bewusst, dass die Situation von Musiker*innen nicht bestens ist.» Trotzdem kommt eine Plattform wie Patreon für ihn im Moment nicht infrage: «Man verkauft sich ungern so offensichtlich. Meine Bubble ist auch noch nicht groß genug. Da hopsen ja nicht gleich alle Follower*innen hoch, wenn man das einmal vorschlägt. Diese Art von Akquise würde mir ganz schön den Vibe stehlen.» Ein valider Punkt: Das Bewusstsein für Crowdfinanzierung fehlt selbstverständlich nicht nur bei Musiker*innen – auch für viele Fans ist das Konzept erst einmal neu, eben weil man es kaum sieht. Ich persönlich bin jedoch felsenfest überzeugt, dass ein nicht zu verachtender Teil der Musikliebhaber*innen dem positiv gegenübersteht, wenn er erstmal die Chance hat, sich damit auseinanderzusetzen.

Natürlich kostet es Überwindung, diese Art von Projekt anzugehen und den Fans den Vorschlag «Hey, gebt mir doch mal Geld!» zu unterbreiten. Die Band Black Sea Dahu ist diesen Schritt im letzten Jahr gegangen und macht bislang gute Erfahrungen. Auf Fanklub, einem deutschen Angebot zur Crowdfinanzierung, bietet sie ihren Fans an, sie finanziell mit einer monatlichen Summe der Wahl, mindestens 1,99 Euro, zu unterstützen. Die Schweizer*innen kommunizieren sehr deutlich, welche Vorteile das für sie hat: Rechnungen zahlen, unabhängig sein können. Anfang Mai 2023 zählt Black Sea Dahus Fanklub 369 Mitglieder, die im Schnitt 3,76 Euro pro Monat (= 16.737 Euro pro Jahr, abzüglich 10% für Fanklub und Mehrwertsteuer) bezahlen. «Bei einer Solokünstlerin wäre dies schon ein schönes Grundeinkommen. Bei einer großen Band mit Team braucht es noch etwas mehr», verrät Andreas Ryser, Manager der Band. Black Sea Dahu posten exklusive Vlogs, Akustikversionen, Demos auf ihrer Fanklub-Page. «Das ist richtig harte Arbeit für diese knapp 400 Fans. Viele, viele Stunden. Wenn ich es rein marktwirtschaftlich anschauen würde, bin ich noch nicht sicher, ob sich das rechnet. Doch wenn du nicht zwei Millionen monatliche Streams bei Spotify hast, ist alles wirtschaftlich nötig. Es ist noch lange nicht so, dass diese Band von dem, was sie macht, einen anständigen Lohn kriegt. Da muss man solche Tools ausprobieren», führt Andreas aus. Doch die Musiker*innen haben verstanden, dass sie, wenn sie von ihrer Musik leben wollen, eben auch damit Geld verdienen müssen. «Deswegen kommt es auch nicht peinlich daher, ihnen ist das nicht unangenehm. Bei Konzerten haben sie einen aktiven Part, wo sie über ihr Merchandise sprechen und von der Bühne Postkarten mit dem Fanklub-Link verteilen.» Zum ersten Mal kommt aber auch eine andere Perspektive zur Sprache: «Fans haben die Möglichkeit, auf der Plattform aktiver zu kommunizieren. Es gibt einige, die das nutzen. Und vielleicht genau deshalb bezahlen, und für die zusätzlichen Inhalte. Die meisten finden aber einfach die Band großartig und wollen zusätzlich etwas geben.» 

Dass es abseits von Geld noch einen anderen Benefit geben könnte, wird in keinem Gespräch so deutlich wie in dem, das ich mit Wilhelmine führe. Die braucht sich im Moment eigentlich keine Sorgen machen: Major-Deal, große Konzerte, super Playlist-Platzierungen. Vor drei Jahren sah das anders aus. Als die Pandemie begann, hat Wilhelmine erst ihren VW-Bus verkauft und sich dann einen Patreon-Account eingerichtet. «Mein Manager hat mir so eine Art Fanclub mit Abo-Prinzip vorgeschlagen. Da war meine erste Reaktion ‹Oh Gott, noch ein Abo! Jetzt kann man MICH abonnieren! Auweia!›», erzählt sie und fährt fort: «Dann dachte ich, es könnte vielleicht doch ein schönes Team-Ding sein. Als ich das bei Instagram veröffentlicht habe, kam so viel positives Feedback». Was als Notfallüberbrückung begann, ist selbst jetzt, wo die Berlinerin das Patreon-Geld gerade nicht unbedingt bräuchte, ein geschätztes Ruhekissen. «Wenn alles nochmals wegbricht – und die Gedanken mach ich mir oft –, dann hätte ich Patreon und somit auf jeden Fall meine kleine Wohnung drin.» Das ungleich größere Argument, den Account weiterhin zu pflegen, reicht Wilhelmine aber direkt nach: «Meine Ultras, ich nenne sie die Willis, sind alle da reingekommen und auf einmal hatten wir eine Plattform, auf der wir zusammen waren. Dann ging die Pandemie langsam vorbei, ich hatte wieder Bühnen und konnte daraus wieder ein reguläres Einkommen beziehen. Doch die Leute auf dem Patreon-Account waren ein Rudel geworden. Warum sollte ich das jetzt löschen? Wir sind so zusammengewachsen.» Diese Perspektive hört man häufiger von Leuten, die sich entschlossen haben, Crowdfinanzierung zu nutzen: die Überraschung darüber, wie wholesome die eigene Ecke des Internets sein kann. Wie anders, produktiver, netter, echter, verlässlicher die Kommunikation in einem Raum voller Super-Fans ist. 

«Wenn eine große Künstlerin das machen würde, die ich sehr liebe: Ich würde sie auch unterstützen. Um ihr gefühlt einen Schritt näher zu sein. Das hat gar nichts mit Geld zu tun», erzählt mir Wilhelmine noch. Und ich denke: Ja. Eben. Ich möchte Teil des Weges meiner Lieblingsband sein. Ich möchte, dass meine Lieblingskünstlerin sich aufs Musikmachen konzentrieren kann. Wenn ich dafür zusätzlichen Content kriege: toll. Wenn nicht: Ich hab eh keine Zeit für noch ein Video. Man sollte Fans nicht unterschätzen. Sie sind eine Macht.

Ich habe Geld und Liebe zu vergeben. Greift zu.

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