Sammeln und Besitzen

Ronny Krieger
Ronny Krieger ist seit mehr als 30 Jahren Teil der Musik- und Musik-Tech-Industrie. Er arbeitete für Acts wie Moderat und war später Consultant und Advisor für Firmen wie LANDR, Native Instruments und Patreon. Der Liebhaber physischer Formate setzt sich passioniert für das noch recht neue KiT-Album ein und schreibt für Low Budget High Spirit ein Plädoyer für mehr Formatvielfalt und weniger Dogmatismus in der Musikindustrie.
Mehr zu Ronny via ronnykrieger.com.
Mehr zu KiT-Alben via kitbetter.com.
«If we all liked the same thing, life would be unbearably dull.» – W. Somerset Maugham
Vielfalt ist ein Begriff, der in der Musikindustrie längst angekommen ist – zumindest, wenn es um Repräsentation, Herkunft oder Genre geht. Doch bei einem entscheidenden Punkt scheint die Fantasie zu stocken: bei der Produktvielfalt.
Statt neue Wege zu gehen, werden altbekannte Formate ritualisiert oder dogmatisch verteidigt. Auf der einen Seite stehen die Vinyl-Aficionados, die lieber noch die sechste Farbvariante einer Pressung feiern, als über sinnvolle Alternativen und Ergänzungen nachzudenken. Auf der anderen Seite die Digital-Puristen, für die alles, was sich anfassen lässt, in die Kategorie nostalgischer Ballast fällt. Beide Fraktionen eint ein blinder Fleck: der Fan.
Denn nicht der persönliche Geschmack sollte die Maßgabe sein, sondern der reale Bedarf. Und der zeigt sich oft dort, wo man ihn vielleicht nicht immer erwartet.
Markt vs. Mythos
Seit dem Vinyl-Revival feiern Medien und Branchenberichte regelmäßig neue Umsatzrekorde – was allzu oft im gleichen Atemzug zur Toterklärung der CD führt. Dabei widerspricht die Realität dieser Erklärung. In Märkten wie z. B. Japan oder Deutschland, aber auch in vielen weiteren, hält sich die CD hartnäckig, teils sogar stärker als Vinyl – gemessen an Stückzahlen. Was fehlt, ist keine Nachfrage, sondern die Bereitschaft, diese ernst zu nehmen, ohne dabei die eigentliche Leidenschaft für das Vinyl über alles zu stellen, oder die eigene Ignoranz gar mit pseudo-fachmännischen Argumenten wie «Vinyl klingt einfach besser» zu begründen.
Als ehemaliger Labelmanager habe ich gelernt: Wer den Markt verstehen will, muss zuhören, neugierig bleiben – und testen. Bei einem «Moderat»-Album etwa entschieden wir uns für eine umfangreiche Staffelung: eine günstige Jewel-Case-CD für Preisbewusste, eine Deluxe-Edition mit Bonusinhalten für Sammler. Gleiches beim Vinyl: eine einfache LP, preiswerter und zum Durchhören, aber auch eine Gatefold-Version als Doppel-Vinyl mit Bonustrack und in diversen Farbvarianten für unterschiedliche Handelspartner. Ergänzt durch Streaming- und Download-Optionen. So wurden unterschiedliche Bedürfnisse ernst genommen, als kreative Ausdrucksformen betrachtet – und erfolgreich monetarisiert.
Ein weiteres Beispiel aus meiner Zeit als Labelmanager betrifft die Veröffentlichung eines Modeselektor-Albums. Um dem wachsenden Markt für audiophile Hörer:innen gerecht zu werden, suchten wir nach einer physischen Alternative zu hochauflösenden Audio-Downloads. Aus diversen Gründen kam dabei eine DVD nicht infrage. Dabei stießen wir auf spezielle CD-Trays im Jewel-Case-Format, die ursprünglich von der Spieleindustrie für SD-Karten verwendet wurden. Wir konnten eine Restcharge dieser Trays aufkaufen und nutzten sie, um eine limitierte Auflage des Albums als SD-Karte mit hochauflösenden Audiofiles zu veröffentlichen – verpackt in einer klassischen Jewel-Case-Hülle. Dieses ungewöhnliche Sammlerstück bot audiophilen Fans eine hochwertige physische Option und zeigte einmal mehr, dass kreative Lösungen jenseits etablierter Pfade möglich sind.
Dass viele Künstler:innen heute diese Möglichkeiten verschenken – aus Unwissenheit, Engstirnigkeit oder Ressourcengründen – ist vielleicht nachvollziehbar, aber schade und unnötig. Denn es gibt sie, die Alternativen. Und sie sind nicht nur greifbar, realistisch, sondern inspirierend und nicht zuletzt auch kommerziell attraktiv.

"Sammelt schafft Identität, bietet Orientierung und stiftet Gemeinschaft."
Die CD lebt (und verkauft sich)
Ich selbst mag CDs. Sie sind platzsparend, klanglich nah am Produktionsursprung, zumindest durchweg näher als die allermeisten Vinylpressungen, die durch die Eigenschaften des Mediums bestimmte Frequenzanpassungen benötigen, und vor allem ideal für Albumhörer:innen wie mich, die eine Veröffentlichung gern von Anfang bis Ende durchhören möchten – ohne Unterbrechung, ohne das Medium zu wenden, ohne den musikalischen Fluss zu stören.
Dabei bin ich allerdings keineswegs auf ein einziges Format festgelegt. Je nach Projekt und Veröffentlichung entscheide ich mich neben CDs auch für SACDs, High-Resultion oder Dolby-Atmos-Blu-rays, 5.1-DVDs, KiT-Alben oder Vinyl. In der Regel jedoch immer für ein physisches Produkt, insofern es denn eins gibt, was leider nicht immer der Fall ist.
Als eifriger Konzertgänger treffe ich immer wieder auf Bands, die an ihren Merch-Ständen – sofern vorhanden – vollkommen erstaunt sind über das Interesse an CDs. Obwohl die mediale Erklärung schon längst ein anderes Bild zeichnet, beweist die Realität: Es gibt eine nicht zu unterschätzende Zielgruppe, die weiterhin CDs kaufen möchte. Ob aus Preisgründen, Platzmangel, Nostalgie oder einfach, weil sie keinen Plattenspieler besitzen – entscheidend ist: Sie wollen ein physisches Produkt, das sie mitnehmen, weitergeben, signieren lassen können.
Für viele Bands geht hier bares Geld verloren. CDs sind günstig in der Herstellung, logistisch unkompliziert und bieten dennoch eine haptische Verbindung zum Werk.
Surround-Sound, Dolby Atmos und unterschätzte Märkte
Ein noch immer stark unterschätzter Bereich der Musikindustrie ist der Heimkinomarkt. Dabei zeigt sich gerade hier enormes Potenzial – insbesondere mit Blick auf immersive Audioformate wie Dolby Atmos.
Während meiner Zeit bei Kanzleramt Music haben wir auf dem Sublabel K2O bereits vor fast 25 Jahren eines der ersten immersiven Alben überhaupt veröffentlicht: «Slither» von Jake Mandell und Jefferson Egan. Ein beeindruckendes audiovisuelles Album in Dolby Surround, das als DVD erschien. Damals noch eine Pioniertat, heute ein Format mit wachsender Nachfrage, das aber in der physischen Welt leider viel zu selten sichtbar wird.
Zwar fordern viele Vertriebe ihre Künstler:innen mittlerweile dazu auf, Dolby-Atmos-Mixe für Apple Music zu liefern, doch physische Atmos-Veröffentlichungen bleiben eine Ausnahme. Dabei zeigen Serien wie die SDE Surround Series oder die Pure Audio Blu-rays, dass sich mit tausendfacher Auflage stabile Umsätze erzielen lassen – weit mehr, als viele Artists trotz höherer Atmos-Paybacks bei Streams je einspielen könnten.
Die gute Nachricht: Der technische Aufwand für die Produktion von Blu-rays oder DVDs ist seit unserer damaligen VÖ erheblich geschrumpft. Und wer die Mindestmengen von 500 Stück scheut, kann Alternativen wie selbst gebrannte Discs oder hybride Formate wie das KiT-Album in Betracht ziehen – letzteres unterstützt Atmos inzwischen ebenfalls.
Sammeln als intrinsischer Habitus
Die Soziologie hat das Sammeln als kulturelle Praxis vielfach beschrieben: Sammeln schafft Identität, bietet Orientierung und stiftet Gemeinschaft. Gerade im K-Pop wird diese Praxis auf die Spitze getrieben. Fotokarten, Booklets, exklusive Verpackungen – hier wird das physische Produkt zur Eintrittskarte in eine emotionale Welt. Meine eigene Tochter, leidenschaftlicher K-Pop-Fan, hat mir diesen Kosmos nähergebracht. Und gezeigt, dass junge Menschen keineswegs nur noch streamen wollen. Sie wollen besitzen, tauschen, zeigen, teilhaben. Und: Sie sind bereit, dafür zu bezahlen.
Wer sich die physischen K-Pop-Veröffentlichungen genauer anschaut, erkennt schnell, dass es sich nicht um konventionelle CD-Verpackungen handelt, sondern um liebevoll konzipierte Gesamtkunstwerke. Die Standardverpackung ist häufig ein aufwendig gestaltetes Buch- oder Magazinformat, gefüllt mit exklusivem Fotomaterial, Lyrics, Hintergrundinfos und teils sogar persönlichen Botschaften der Künstler:innen. Hinzu kommen Sammelkarten, Sticker, Poster oder andere kleine Extras, die das haptische Erlebnis erweitern. Oft gibt es verschiedene Versionen eines Albums mit unterschiedlichen Booklets und Fotokarten, was das Sammeln zusätzlich reizvoll macht.
Diese Formate erfüllen dabei weit mehr als eine reine Speicherfunktion für Musik. Sie sind soziale Objekte: Fans tauschen Fotokarten, vergleichen Editionen, dokumentieren ihre Sammlungen online oder auf Fan-Treffen. Das physische Objekt wird zum Medium der Community. Dass Vinyl in dieser Welt kaum eine Rolle spielt, überrascht nicht: Es ist schwerfällig, teuer, zerbrechlich – und schlicht unpraktisch für ein junges, mobiles Publikum. Die Idee, sich erst einen Plattenspieler kaufen zu müssen, schreckt viele ab. Stattdessen setzen K-Pop-Labels auf innovative, kompakte und multimediale Formate, die auf die Bedürfnisse einer globalen, digitalen Fangemeinde zugeschnitten sind.
Produktinnovation: Das KiT-Album
Eines der spannendsten Formate, das ich über meine Tochter kennengelernt habe, ist das sogenannte KiT-Album. Ursprünglich 2017 als «Kihno-Album» eingeführt, hat dieses hybride Format seither mehr als 10 Millionen Einheiten verkauft. Im K-Pop ist es etabliert, doch nun beginnt auch der internationale Markt, sich zu öffnen: Snoop Dogg, «Weezer», «Duran Duran», Jason Mraz und sogar Underground-Künstler wie «Eros» (Regis von «Sandwell District» und «British Murder Boys», Liam Andrews von «My Disco», «Einstürzende Neubauten»-Engineer Boris von Wilsdorf) oder «Unknown Fate» haben bereits erste Veröffentlichungen angekündigt. Das legendäre Metal-Label «Earache» hat kürzlich 25 Alben im KiT-Format angekündigt, inklusive legendärer Katalogtitel von «Godflesh» und «Napalm Death».
Was macht das KiT-Album so besonders? Es ist ein audiovisuelles Format, das die Brücke zwischen digitaler Flexibilität und physischer Sammelkultur schlägt. Hier zehn gute Gründe, warum ich empfehle, sich näher mit dem Format zu beschäftigen:
Dynamischer Content: Inhalte lassen sich nachträglich ergänzen – ideal für gestaffelte VÖs oder Bonusmaterial.
Kurze Produktionszeit: Ein bis zwei Wochen reichen für die Produktion.
Kleine Auflagen möglich: Schon ab 30 Stück realisierbar, perfekt für DIY-Künstler:innen.
Multimedial: Audio, Video (bis 4K), Fotos, Booklets, Lyrics, Credits u. v. m.
Unbegrenzter Speicher: Auch für Mehrfachalben und epochale Werke oder Sammlungen geeignet.
Dolby Atmos: Seit Mai 2025 offiziell unterstützt.
Hohe Kompatibilität: Smartphone, Tablet oder PC genügen, wodurch das Format dadurch de facto von allen nutzbar ist.
Merch-tauglich: Leicht, kompakt, ideal für Konzerte.
Neuartigkeit: Außerhalb Asiens noch immer etwas Neues, Besonderes.
Analytics: Einziges physisches Format mit Hörer:innenstatistik wie sonst nur beim Streaming.
Das KiT-Album ersetzt weder Vinyl noch CD. Das sollte es auch nicht. Aber es bietet – gerade für Nachwuchsbands oder experimentierfreudige Labels – mit sehr geringer Mindestmenge einen bezahlbaren, flexiblen Zugang zum physischen Markt. Und es schafft neue Spielräume für Kreativität. Nicht nur, aber aktuell vor allem als Musikformat.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Streaming wird auf absehbare Zeit die dominante Form der Musikrezeption bleiben. Doch für den Großteil unabhängiger Labels und Künstler:innen stellt es keine tragfähige Einnahmequelle dar. Zu groß ist die Diskrepanz zwischen Reichweite und Monetarisierung. Umso wichtiger ist die Nutzung erprobter physischer Veröffentlichungsmöglichkeiten sowie die Erschließung neuer Formate, die nicht allein auf den berühmten Superfan angewiesen sind, sondern auch Gelegenheitshörer:innen jeglichen Alters ein attraktives und bezahlbares Angebot machen.
Die Zukunft liegt nicht in purer Nostalgie, sondern vor allem auch in der Neugier. Wer sich nicht allein auf Routinen und Reproduktionen verlässt, sondern bereit ist, neue Wege zu gehen, wird feststellen: Es gibt sie, die Märkte, die Fans, die Ideen – man muss ihnen nur eine Form geben. Manchmal sind dies erprobte und trotz aller Unkenrufe längst nicht überholte Methoden und manchmal bedarf es eben neuer, innovativer Möglichkeiten. Wie so oft besteht das Geheimnis zum Erfolg aus der perfekten Mischung aus beidem. Als Waage ist mir das sympathisch.
Wahre Vielfalt endet nicht bei Herkunft, Genre oder Geschlecht. Sie beginnt dort, wo wir Vielfalt wirklich ernst nehmen: im Angebot. Dabei unterscheiden sich Design-Präferenzen, verfügbare Budgets und Hörgewohnheiten. Lasst uns als Musikindustrie dem in den kommenden Jahren wieder deutlich besser gerecht werden. Auch wenn der Aufwand größer ist: Es lohnt sich.
Musikbusiness neu denken. Diesen und viele weitere Texte findest du in den Low Budget High Spirit Magazinen.
-
Das Magazin - Ausgabe 2025
Regular price €10,00 EURRegular priceUnit price perSale price €10,00 EUR -
Das Magazin - Ausgabe 2024
Regular price €10,00 EURRegular priceUnit price perSale price €10,00 EUR -
Das Magazin - Bundle 2025 & 2024
Regular price €17,00 EURRegular priceUnit price perSale price €17,00 EUR -
Sold outDas Magazin - Bundle Alle Ausgaben
Regular price €35,00 EURRegular priceUnit price perSale price €35,00 EURSold out